update 5/2023: Fokus auf "Zutaten"

Seit einem Jahr denke und spreche ich jetzt über "Schatten" und dann über das "Neue Gute Leben".

Schneller als ich gedacht und gehofft hatte sind die "7 Globalen Schatten" ins allgemeine Bewusstsein gelangt:

  • Klimawandel / Verlust der Biodiversität
  • Ungeklärte Ressourcen-Fragen
  • Fragile internationale Finanzmärkte
  • Digitalisierung / Künstliche Intelligenz
  • Wertedivergenz
  • Ende der Globalisierten Ordnung
  • Demografie

Leider haben wir aber noch kein gemeinsames Verständnis von einem "Neuen Guten Leben" und noch weniger von den "Zutaten" um dieses Neue Gute Leben zu verwirklichen.
Ich bin heute noch mehr davon überzeugt davon, dass wir eine positives "Narrativ" benötigen wenn wir verhindern wollen, dass wir "zurückrutschen": Mehr Gerangel und Spannung zwischen Gruppen: global, innerhalb von Staaten und auch innerhalb von Organisationen.

Aus diesem Grund habe ich nun ein (englisches) Dokument zusammengestellt, das sich nur auf die "Zutaten" fokussiert. Die Datei kann als "Folien" gesehen werden oder auch als Karten ausgedruckt werden (4 Seiten auf 1 Seite einseitig ausdrucken, dann 2 x schneiden).
https://docs.google.com/presentation/d/1p0R5Syr_MrOD2nVPWyZTqVT3JbZWElEBOt_0N1NIz6I/edit?usp=sharing
Es ist Version 0.1 - also unfertig. Bitte um Unterstützung durch Kommentare und Vorschläge.

Was ist am Weg über mich gelernt habe: Ich kann wohl nur ein Botschafter des Neuen Guten Lebens sein, wenn ich meine eigene Version des Guten Lebens lebe. Diese Einsicht hat mich neu aufgeweckt. Das "Gefühl der Dringlichkeit" das mein Begleiter und Motor über die letzten Jahre war, ist verblasst. Eine neue Form der Präsenz wächst in mir, das meine Möglichkeiten für das Gesamte nützt - während all meine Schwächen auch ihre Spuren hinterlassen.

 

update 12/2022: Was für ein Jahr!


Seit Mai hat sich mein Bild von dem was unsere Organisationen und unsere Welt brauchen doch deutlich verändert.
Begonnen hat es unter anderem damit, dass ich mich im April auf die Suche machte, wie man Organisationen dabei begleiten kann, die von der Inflation getroffen werden. Gefunden habe ich u.a.

 

Stück für Stück stellte ich "7 Globale Schatten" zusammen und begann, mir über Zusammenhänge und Szenarien Gedanken zu machen. Augen-öffnend, und gleichzeitig kraftraubend: Wie soll hier ein Gutes Leben, wie wir es kennen und wie wir es eigentlich ausbauen wollen, weiter möglich sein?

Schließlich entstand ein neues Bild: Was, wenn das Gute Leben, wie wir es kennen, nicht die einzige mögliche Form eines guten Lebens ist. Wenn sich die Umstände ändern, brauchen wir einen Dialog, worin das "Neue Gute Leben" bestehen kann.

Meine intensive Arbeitswoche mit Schuldirektor:innen in Nepal hat meine Überzeugung verstärkt: Die Globalen Schatten wirken weltweit und bringen vor Ort ganz spezifische lokale Schatten zum Vorschein. Entsprechend der kulturellen und anderen Ressourcen schauen auch die Entwürfen für ein "Neues Gutes Leben" weltweit anders aus. Für Nepal ist es wohl eine Integration von gesunder lebendiger Tradition mit lebensförderlicher Moderne. Einengende Tradition und zerstörerischer Kapitalismus gehören ins Museum.
Wie ist das für uns? Was gehört für uns ins Museum, was wollen wir integrieren?

Und nicht zuletzt: Was bedeutet das für unsere Organisationen? Die großen Wert-Orientierungspunkte sind heute die Unternehmen, in ihrer Funktion als Verkäufer mit ihren Marketing-Botschaften und in ihrer Funktion als Arbeitgeber und der Art, wie sie Kulturen prägen. Wie können unsere Organisationen zu "Gärten für das Neue Gute Leben" werden?

Wenn also Ressourcen knapp werden, Preise steigen, Services nicht mehr verfügbar sind etc.: Wie werden wir kulturell reagieren? Mit Depression und Kampf, oder mit dem Dialog für eine neue Erzählung von einem Neuen Guten Leben?

 

Ich wünsche Ihnen und uns zu weihnachten und überhaupt so viel Segen, wie wir brauchen und haben wollen :-)

 

Bernhard Possert

 

 

 

update 6/22: Die größten Probleme derzeit und Bewältigungsansätze

Arbeitsmarkt
Vor einigen Jahren waren es noch die IT-Kräfte, dann Techniker:innen allgemein, dann Sozialbereich in entlegenen Gegegenden und Tourismus. Gibt es heute überhaupt noch Branchen und Regionen, in denen es leicht ist geeignete Arbeitskräfte zu finden?

Führungskräfte gesucht
Ähnlich schwer wie es ist überhaupt geeignete Mitarbeiter:innen zu finden, ist es schwer, Mitarbeiter:innen zu motivieren eine Führungsverantwortung zu übernehmen, denen wir es durchaus zutrauen würden.

Demographie und Wertewandel als zentrale Veränderungstreiber
Wenn man mit den Statistiken und Grafiken der Bevölkerungsentwicklung nicht vertraut ist, könnte man überrascht sein: "Warum haben wir nur einen Arbeitskräftemangel? Wir werden in Österreich (und vergleichbar in Europa) ja mehr! Und überhaupt: Es wandern ja so viele Leute zu!"
Nun, die Zahlen sprechen eine andere Sprache: Die Babyboomer gehen in Pension, es kommen viel weniger Leute in den Arbeitsmarkt als in Pension gehen.
Dazu kommt noch der Wertewandel: Jüngere Menschen (45 und jünger) sind nicht mehr so versessen darauf, Vollzeit zu arbeiten (oder auch Führungsverantwortung zu übernehmen).

Wettbewerb

Der Wettbewerb um Mitarbeiter:innen findet bereits entlang von ganz unterschiedlichen Linien statt:

  • zwischen Regionen: Der Sog geht ungemindert von den Dörfern in die kleinregionalen Zentren und von dort in die Städte
  • zwischen Branchen: beginne eine Ausbildung in unserem Bereich! oder auch: mal etwas anderes probieren? steige um!
  • zwischen Unternehmen einer Branche
  • ja sogar innerhalb des Unternehmens: alle "Guten" zu mir!

 

Bewältigungsansätze auf verschiedenen Ebenen

"Direkte" Maßnahmen, wenig überraschend:

  • Das Marketing "völlig" umstellen, und das beginnt bei den selbstverständlichen Dingen: Sehe ich auf der Website innerhalb von wenigen Minuten, mit welchen Qualifikationen ich hier unter welchen Bedingungen arbeiten kann, wie Struktur / Kultur / Werte / etc. sind und habe ich eine Ansprechperson, die ir raschest und gut informiert, einladend antwortet? Wissen alle Mitarbeiter:innen im Unternehmen in welchen Bereichen gesucht wird und gibt es symbolische oder auch finanzielle Anerkennung dafür, wenn ich als Mitarbeiter:in jemanden geeigenten in die Organisation bringe?
  • Wenn es für eine Organisation leichter ist, Kund:innen zu bekommen als Mitarbeiter:innen, dann ist Mitarbeiter:innen-Zufriedenheit entsprechend (noch) wichtiger als Kund:innenzufriedenheit. Was tun wir dafür? Das fängt durchaus bei handfesten Dingen an (Kaffee und Obst kostenlos, ...), spitzt sich aber letztlich bei der Frage von Führungsqualität zu: Werde ich als Mensch gesehen, mit meinen Talenten gut eingesetzt, kann ich mich entwickeln, werden meine Ideen gehört, werden Probleme angegangen etc.?
  • Ältere Mitarbeiter:innen: Bis vor einigen Jahren waren wir aus Kostengründen froh, wenn Personen eher früher als später in Pension gegangen sind. Wir sind dabei auch hier umzudenken. Die Frage ist ja: Bekomme ich jemanden nach, der/die die gleiche Arbeit tun kann, oder bleibt die Stelle vakant? Natürlich sehen wir, dass nicht alle Mitarbeiter:innen bis 65 die gleiche Leistung wie früher bringen können oder wollen: Entsprechend gilt es schon frühzeitig zu schauen: Welche Position kann die Person in den letzten Jahren der Berufslaufbahn noch gut übernehmen? Mehr und mehr werden wir in den Unternehmen beginnen, Pensionist:innen geringfügige Jobs anzubieten.
  • Remote: Nicht alles was wir tun muss im Office geschenen. Natürlich ist es für die Zusammenarbeit gut, wenn sich Teams zumindest einen Tag in der Woche gemeinsam in Präsenz sehen. Doch bevor wir Stellen nicht besetzen können: Welche Aufgaben können auch Personen übernehmen, die gar nicht an unserem Standort "sitzen", sondern in einer Partnerorganisation oder in einem HomeOffice ganz wo anders?
  • Mitarbeiter:innen "ansiedeln": Was im technischen Bereich schon mehr üblich ist, wird wohl auch in aderen Branchen Einzug finden. "Wir bieten Ihnen eine Dienstwohnung, Sie arbeiten vor Ort nur vier Tage, wir helfen Ihnen beim Umzug, beim Finden von Kindergarten- und Schulplätzen etc." Damit wird es dann wohl auch nicht genug sein: Es braucht wohl auch Unterstützung bei der sozialen Integration.
  • Praktikant:innen wurden bis vor einigen Jahren mehr als Belastung gesehen: Mittlerweile sieht man, dass neben der Mehrbelastung hier eine ideale Möglichkeit für Mitarbeiter:innen-Akquise besteht. Die Frage ist vielmehr: Wie können wir Kontakte zu Ausbildungseinrichtungen aufbauen, dass die Menschen bei uns überhaupt Praktika machen? Wir wissen: Es spricht sich herum, wie Praktikant:innen (und überhaupt alle) behandelt werden.
  • Gehälter: In der Literatur spricht man davon, dass die Bezahlung ein "Hygienefaktor" ist. Das bedeutet: Coole Bezahlung macht nicht dauerhaft glücklich, aber schlechte Bezahlung, unter einer Schwelle, macht unzufrieden. Wir können erleben, dass Menschen gutbezahlte Jobs verlassen oder nicht annehmen, wenn das Klima im Unternehmen "toxisch" wird. Wie "wenig" darf man also bezahlen? Eine Daumenregel könnte sein: Wenn meine Freund:innen hören, dass ich Job A genommen habe, obwohl Job B X Euro mehr gebracht hätte und die Freund:innen meinen, ich sei über den Tisch gezogen worden - dann ist es wohl zu wenig.

Sie sehen, es ergeben sich für das Personalmanagement ganz neue Aufgaben, und es wird von einem "Nebenbereich" zu einem strategischen Schlüsselfaktor.

 

"Indirekte" Maßnahmen - die eigentlichen "Hebel":

  • Verbindung mit Sinn
  • Arbeit an der Kultur - in Richtung "Safe Brave Developmental Spaces"
  • Arbeit an Strukturen und Prozessen - in Richtung mehr Selbstverantwortung
  • Arbeit an und Kommunikation über Strategie

 

eins nach dem anderen:

Verbindung mit Sinn
Den Wertewandel habe ich oben angesprochen. Auch wenn die verallgemeinernden Beschreibungen der Generation Y und Z hoffentlich an der konkreten Person überprüft werden: Die Grundrichtung sagt nicht nur, wie oben beschrieben: weniger Stunden arbeiten, weniger Führung übernehmen, sondern auch: Ich bin nur dann bereit mich länger zu binden, wenn ich den Eindruck habe, dass ich hier ganz ICH sein kann. Und das kann ich nur, wenn ich auch in der Arbeitszeit einen Beitrag leisten kann zu meiner persönlichen Mission (was will ich auf der Welt bewirken?). Die Kommunikationsräume in denen diese Themen besprechen werden, sind in der Regel erst zu öffnen.

Arbeit an der Kultur - Richtung "Safe Brave Developmental Spaces"

Hier gibt es gleich mehrere Faktoren, die die Bedeutung einer lebensfördernden Unternehmenskultur bedeutsamer machen: Zum einen hat sich die Marktmacht am Arbeitsmarkt ja gedreht: Haben Mitarbeiter:innen sich früher Dinge zähneknirschend gefallen lassen, wissen heute viele: Ich finde woanders sicher auch etwas. Dazu kommt, dass das Verständnis für patriarchale hierarchische bürokratische Machtspiele in den jüngeren Generationen mittlerweile (Gott sei Dank) gegen Null ist. Führungskräfte, die so agieren und noch mehr die Vorgesetzten dieser Führungskräfte haben zunehmend Schwierigkeiten, geeignete Mitarbeiter:innen in Bereichen zu halten, in denen entsprechende vorgestrige Kulturmechanismen am Werk sind. Was bedeutet nun "Safe Brave Dwevelopmental" im engeren Sinn?

  • Safe: Ich kann Einschätzungen, Ideen, Bedenken etc äußern und ich muss nicht befürchten, dass ich dafür "gehatet" werde. Das bedeutet nicht, dass man mir recht gibt, sondern: Meine Perspektive und mein Einbringen wird willkommen geheißen.
  • Brave: Es ist nicht nur so, dass ich mich äußern darf, ich werde eingeladen, ja gebeten schwierige Dinge zu benennen: problematisches Verhalten, strategische Kurzsichtigkeit, illegale Praktiken etc. Betroffene finden das in diesem Moment wohl nicht angenehm - dennoch bleibt die Kultur ermutigend.
  • Developmental: Wir sehen uns alle auf dem Weg, in Entwicklung befindlich. Nicht nur hinsichtlich unserer Kompetenzen, sondern auch auf dem Weg zu mehr Reife, innerer Freiheit, ja vielleicht sogar mehr "innerer Mitte", "Größe" und "Weisheit". Der Arbeitsalltag gibt ja viele Möglichkeiten, Vorfälle, Dilemmasituationen, etc zu reflektieren und daran zu wachsen. Was es dafür braucht? Natürlich safe brave spaces ...

Arbeit an Strukturen und Prozessen - in Richtung mehr Selbstverantwortung
Der große Hype um "Re-inventing Organizations" und "Agile" scheint abgeklungen - nun kann man mit noch mehr Augenmaß das tun, was nötig, sinnvoll und möglich ist. Die Daumenregeln sind einfach: Idealerweise sind Zuständigkeiten und Prozesse so klar, dass der operative Betrieb ohne Führungskräfte auskommt. Führung fokussiert sich darauf, Prozesse und Zuständigkeiten entsprechend zu klären bzw. laufend weiter zu entwickeln, die richtigen Leute an die richtigen Stellen zu bekommen, Ressourcen bereit zu stellen, das kontinuierliche Lernen sicherzustellen - von Personen und dem System gesamt, die strategische Ausrichtung zu betreiben, die Kultur zu hüten, Außenkommunikation sicherzustellen etc. Die gute Nachricht: auch wenn viele Menschen nicht "führen" wollen: mit klaren Rahmenbedingungen sind durchaus viele bereit, im eigenen Aufgabenbereich Verantwortung zu übernehmen. Umgekehrt: immer weniger Menschen lassen sich dauerhaft mikromanagen. Damit erweitert sich nochmals die Aufgabe von Führung: Noch weniger operativ, noch mehr Entwicklung. Diese Art von Führung lernt man nicht nebenbei und auch nicht wirklich in MBAs, sondern am guten Vorbild und im kollegialen Austausch zwischen Führungskräften. Wieder - es braucht unternehmensinterne Austauschformate für die Kunst der Führung.

Arbeit an und Kommunikation über Strategie
Es scheint früher den Grundsatz gegeben zu haben: Strategie ist Sache der Führung, die Mitarbeiter:innen sollen einfach umsetzen. Jetzt würden wir auch heute noch sagen, dass Strategie Führungsaufgabe ist, und doch: Wenn ich mit ein Unternehmen aussuche, in dem ich arbeiten möchte, dann suche ich mir eines aus, das auch "strategisch gesund" ist. Ich erwarte also von meinem Unternehmen gerade in diesen "unsicheren" Zeiten glaubwürdige Antworten auf die offensichtlichen Frage:

  • Was machen wir, wenn es wieder zu Corona-Lockdowns kommt?
  • Wie gehen wir mit dem Arbeitskräftemangel um? Wie verhindern wir die Überlastung derer, die da sind?
  • Wie wirkt sich allfälliger Gasmangel auf uns aus?
  • Wie wirkt sich die Inflation auf uns aus und wie reagieren wir?
  • Wie stehen wir finanziell da?
  • Hat unser jetziges "Geschäftsmodell" in dieser Form Zukunft?
  • Und sicher gibt es je Branche noch weitere wichtige Fragestellungen.

Als Mitarbeiter:in erwarte ich, dass ich hier proaktiv Infos bekomme und zusätzlich eingeladen bin, mich einzubringen, wenn ich hilfreiche Wahrnehmungen, Fragen und Vorschläge habe.

Bernhard Possert